Presse: "Tablets für alle, und zwar sofort"

In der Plenarsitzung morgen (4.6.) wird unseren Antrag zum kommenden Schuljahr ("Schule neu denken: Digitale Sprunginnovation zu integriertem Unterricht. Schule verlässlich und sicher machen. Ein Bildungsfahrplan für das neue Schuljahr 2020/21" - hier abrufbar) erneut besprochen. Einige unserer Vorschläge wurden von der Koalition bereits aufgenommen, bspw. die Sommerschule. Unsere Forderungen gehen aber weiter.

 

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"Die Corona-Krise hat die zähe Berliner Bildungspolitik in Bewegung gesetzt. Nachdem die Schulverwaltung das Thema Digitalisierung über Jahrzehnte mit spitzen Fingern angefasst hat, greift sie jetzt ins Volle. Der Nachholbedarf ist gewaltig. Von Christoph Reinhardt

Der ehrwürdige Bildungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus überträgt seine Sitzung per Stream live ins Internet. Abgeordnete sind aus dem Homeoffice zugeschaltet, als wäre es das Normalste der Welt. Dass Digitalisierung möglich ist, haben die Abgeordneten in den letzten beiden Monaten erfahren. Jetzt müssen die Parlamentarier die Frage lösen, wie nach dem Ende des Homeschooling auch die Schulen digital arbeitsfähig werden. Von den traditionellen, ideologisch aufgeladenen Schuldebatten ist nichts mehr zu spüren. Stattdessen tun sich pragmatische Allianzen auf. Die Linke Schulexpertin Regine Kittler lobt ausdrücklich den Christdemokraten Dirk Stettner. Dass er Tablets zum Ausleihen "für jeden Schüler und jeden Schüler und jede Lehrkraft fordert, finde ich großartig". Das sei ja eine typische Forderung der Linken.

43.000 Tablets für bedürftige Schüler

Stettner muss seinerseits anerkennen, dass er die SPD-geführte Bildungsverwaltung unterschätzt hat. Seiner plakativen Forderung nach "100.000 Tablets sofort" am letzten Dienstag kommt der Senat zwar nicht vollumfänglich nach. Aber zwei Tage später verkündet Schulstaatssekretärin Beate Stoffers, "dass wir hier eine Beschaffung auslösen von insgesamt 43.000 Geräten". Vor den Ferien werden sie nicht mehr geliefert, aber noch im Sommer sollen die Geräte verteilt werden. Fast 10.000 iPads mit Tastatur und zentraler Softwareverwaltung wurden bereits an sozial bedürftige Schüler verteilt. Weil der Bedarf noch deutlich größer sei, bestelle man jetzt nach. Die genauen Kosten stehen noch nicht fest. Aber weil der Bund im Rahmen des Digitalpakts den Berliner Schulen 257 Millionen Euro zur Verfügung stellt, macht das Geld die geringsten Probleme.

Allerdings: Sollten die neuen Tablets im neuen Schuljahr tatsächlich in großem Stil eingesetzt werden, gebe es dort ein Folgeproblem, warnt Dirk Stettner. Nur ein Bruchteil der Schulen hat einen Breitbandanschluss. "Die vorhandenen Anschlüsse reichten in der Regel gerade mal für das Schulsekretariat", aber nicht für systematischen digitalen Unterricht oder Videokonferenzen, sagt Stettner. "Optimal nach dem Ende der Schulschließungen wäre integriertes Lernen – sowohl mit Präsenzunterricht als auch mit virtuellem Unterricht zuhause. Dafür brauchen wir als erstes vernünftige Breitbandanschlüsse."

Kaum Breitbandanschlüsse

Aber wie viele genau, kann auch die Schulverwaltung nicht sagen. Einen Überblick darüber gibt es genauso wenigen wie über die Zahl oder Qualität von LAN-Verkabelungen und WLAN-Installationen in den Berliner Schulen. Denn für die Ausstattung der Schulgebäude sind die Bezirke zuständig, und auch denen fehlt der Überblick. Jetzt hat das Parlament Geld zur Verfügung gestellt, mit dem Profis damit beauftragt werden sollen, den Bestand zu dokumentieren und Angebote für den Ausbau einzuholen. Der FDP-Bildungsexperte Paul Fresdorf räumt ein, dass er in den Monaten der Schulschließungen viele neue Erkenntnisse gewonnen habe. Erfreuliche wie unerfreuliche: "Da sind viele Schulen, die bereits sehr, sehr gute Arbeit beim digitalen Lernen machen – mit Tablets, Videokonferenzen und eigener E-Mailadresse für alle Schüler." Auf der anderen Seite gebe es Schulen, bei denen während des Lockdowns digital praktisch nichts stattgefunden habe. "Das sollte uns eine Mahnung sein, das darf kein Dauerzustand sein", fordert der Liberale. Noch in diesem Jahr müsse jede Schule in der Lage sein, Unterricht über eine digitale Plattform anzubieten.

Ungehobener Schatz "Lernraum Berlin"

Dass Berlin seit 15 Jahren so eine Plattform selbst entwickelt und längst in Betrieb hat, war bis zur Krise vielen Bildungspolitikern und Schulen nicht wirklich bewusst. Ein Team aus abgeordneten Lehrkräften betreibt auf Basis der freien Software Moodle die Plattform "Lernraum Berlin". Bis Mitte März nutzte aber nur ein kleiner Kreis technikaffiner Lehrkräfte mit ihren Klassen das landeseigene System. Nur einige hundert der 360.000 Berliner Schülerinnen und Schüler waren täglich online. Inzwischen hat sich die Nutzung bei rund 30.000 eingependelt.

Nach zwei chaotischen Wochen im März habe man das System in den Griff bekommen, sagt Projektleiter Karsten Bergmann. Inzwischen laufe es stabil auf über 50 Servern und biete technisch gesehen schon jetzt Platz für alle Berliner Schulen. "Wir sind mittlerweile in der Lage, beliebig zu skalieren. Aber bitte mit einem praktikablen Konzept." Dies solle beantworten, wann mit wie vielen Schülern zu rechnen ist, und welche Art von digitalem Unterricht geplant sei. "Vor allem brauchen wir genügend Ressourcen, um die Lehrkräfte darauf vorzubereiten". Denn die Bedienoberfläche des "Lernraums" ist wie seine Grundlage Moodle eher für technische Anforderungen optimiert, nicht jeder Lehrer wird damit warm.

Dass es in der jetzigen Form akzeptiert wird, bezweifelt CDU-Digitalexperte Stettner: "Ich habe noch keinen einzigen Lehrer gehört, der sagt, dass dies ein intuitives, gut funktionierendes Schulcloud-Projekt ist – keinen einzigen". Und auch Projektleiter Bergmann wünscht sich, dass der Senat jetzt die Mittel bereitstellt, um das seit Jahren bekannte Problem mit der Oberfläche jetzt zügig zu lösen. Günstiger dafür waren die Voraussetzungen dafür noch nie. Von den 257 Millionen Euro aus dem Digitalpakt hatten die Bezirke bis April nur einen Bruchteil beantragt.

Beitrag von Christoph Reinhardt

Quelle: rbb24 vom 2.6.2020